REDAKTION
Frau Dr. Zimmermann, Sie haben einmal gesagt, dass Ihr Führungsverständnis auf den Prinzipien „Hilfe zur Selbsthilfe“, „Kommunikation auf Augenhöhe“ und „Ermöglichen von Freiheiten“ beruht. Wie frei und autonom sollten Mitarbeiter eines Unternehmens aus Ihrer Sicht agieren können?
YVONNE ZIMMERMANN
Als Führungskraft verstehe ich es als meine Aufgabe, mit einer Gruppe von Menschen – meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – gemeinsam den Zweck des Unternehmens zu erfüllen. Mit diesem Zweck meine ich den gesellschaftlichen Auftrag, für den das Unternehmen steht und nicht etwa, wie Milton Friedman, die Nebenbedingung, als Unternehmen Profite zu erwirtschaften. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, ist es unerlässlich, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam eine Vision davon entwickeln, wie sie das Unternehmen ausgestalten können. Unternehmensführung bedeutet also per se, gemeinsam mit anderen und für andere Menschen zielgerichtet Freiräume zu erschließen und zu gestalten. Für den Erfolg des Unternehmens ist es unerlässlich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kreativität einbringen.
Bezogen auf jede Einzelne und jeden Einzelnen heißt dies, dass es Führungsaufgabe ist, Rahmenbedingungen zu organisieren, in denen Menschen motiviert arbeiten und sich weiterentwickeln können. Die Freiräume sind allerdings nicht grenzenlos, sondern durch den Auftrag des Unternehmens definiert.
Das umzusetzen, bedeutet nicht nur ein hohes Maß an Empathie für die persönlichen Belange und Einsicht in die Qualifikation der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch die Fähigkeit, basierend auf geteilten Werten ein Gemeinschaftsgefühl zu fördern.
REDAKTION
Frau Dr. Zimmermann sprach gerade von Gestaltungs- und Freiräumen, die durch den Unternehmenszweck begrenzt sind. Frau Dr. Schäfer, teilen Sie diese Auffassung von begrenzter Freiheit und wenn ja, warum?
VIKTORIA SCHÄFER
Wenn wir an Freiheit denken, gibt es ja teilweise die Vorstellung, es sei individuell in jeder Situation erstrebenswert, möglichst viele Optionen zu haben. Sich an Regeln oder Gesetze halten zu müssen, wird vor diesem Hintergrund eher als lästige Einschränkung wahrgenommen. Als Folge solch einer Auffassung kann leicht die Überzeugung entstehen, „der freie Markt“ regele „mit unsichtbarer Hand“ automatisch alles. Kommt es dann zu unerwünschten Verhaltensweisen mancher, verfällt man schnell in das andere Extrem und versucht, Freiheiten nachträglich einzugrenzen und Störfeuer durch neue Regeln zu unterbinden.
Vor dem Hintergrund beider Positionen lohnt sich die Erkenntnis, dass Regeln nicht nur Freiheit negativ eingrenzen, sondern dass manche Freiheiten nur in Kooperation mit anderen Menschen überhaupt erreichbar sind und daher positiv der Koordination durch gemeinsam vereinbarte Spielregeln bedürfen. In diesem Sinne sind Regeln oder Grenzen also ein Instrument, um Gestaltungs- und Freiräume überhaupt erst erschließen zu können.
Es kommt also darauf an, individuelle Freiheiten so einzugrenzen, dass gemeinsame Ziele erreicht werden können. Dies setzt voraus, dass zunächst geklärt ist, welche Freiheiten überhaupt angestrebt werden. Bezogen auf den Unternehmenskontext hat Frau Dr. Zimmermann ausgeführt, wie dies unter Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelingen kann.
REDAKTION
Frau Dr. Zimmermann, Sie haben langjährige Führungserfahrung insbesondere in genossenschaftlichen und kooperierenden Organisationen. Ist die hier beschriebene Vorstellung von Freiheit und die daraus resultierenden Führungsaufgaben anschlussfähig auch an genossenschaftliche Werte und Prinzipien?
YVONNE ZIMMERMANN
Genossenschaften, wie im übrigen auch weitere kooperierende Unternehmen wie beispielsweise der kooperierende Mittelstand, die nicht zwangsläufig in der Rechtform einer eingetragenen Genossenschaft firmieren, stützen sich seit jeher auf bestimmte Regeln oder Prinzipien, die ihr Wirtschaften kennzeichnen. Anders als in anderen Unternehmen, die primär Profitmaximierung zum Ziel ihrer Unternehmung erklären, steht in Kooperativen so zum Beispiel die Förderung der Mitglieder an erster Stelle. Diese Mitglieder können natürliche Personen sein oder auch Unternehmen, die sich zu einem größeren Verbund zusammenschließen.
Um nun die Förderung der Mitglieder zu realisieren, verlassen sich Genossenschaften nicht etwa auf die Hilfe Dritter, wie beispielsweise staatliche Subventionen, sondern organisieren sich auf Basis solidarischer Selbsthilfe der Mitglieder. Die Mitglieder sind dabei sowohl Kunden als auch Eigentümer des Unternehmens. Auf Basis demokratischer Entscheidungsprozesse wird so eine Beteiligung aller Mitglieder an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens ermöglicht. Gleichzeitig verantworten aber auch alle Mitglieder gemeinsam das Ergebnis, das erzielt wird – bis hin zur solidarischen Haftung. Kurz gefasst lässt sich also sagen, dass Genossenschaften und Kooperative mit ihren Prinzipien einen Rahmen formulieren, in dem das Übernehmen von Führungsaufgaben im eben beschriebenen Sinne grundsätzlich begünstigt wird.
REDAKTION
Dann bedingt Freiheit immer auch Verantwortung?
VIKTORIA SCHÄFER
Unbedingt! Schließlich bedeutet Verantwortung ja auch, für etwas, wie zum Beispiel die Entwicklung eines Produkts, einzustehen und sich vor anderen verantworten zu können. Dies setzt voraus, dass man Aufgaben nicht nur konsumiert, sondern sich den Auftrag umfassend zu eigen macht. Gerade vor dem Hintergrund heutiger Anforderungen ist hier eine ganzheitliche Bearbeitung der Aufgabe selten allein möglich. Vielmehr müssen oftmals Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen involviert werden und eine integrierte Lösung erarbeitet werden. Genossenschaftliche Prinzipien bieten hier Ansatzpunkte, solche Prozesse zu strukturieren – auch und gerade in nicht-genossenschaftlichen Unternehmen.
YVONNE ZIMMERMANN
Der Anspruch allerdings, der damit sowohl an Führungskräfte als auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter formuliert wird, die Freiräume gestalten möchten, ist durchaus hoch. Der eingangs formulierte Wunsch und gleichzeitig die Notwendigkeit, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gestaltungs- und Freiräume ermöglicht werden, bringt also gleichzeitig steigende Anforderungen an die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sich. Neben fachlichen Aspekten steht hierbei insbesondere Kooperationsfähigkeit im Vordergrund. Bildung, das heißt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezielt dabei zu begleiten, zusätzliche Verantwortungsbereiche zu übernehmen, ist eine Führungsaufgabe, der in vielen Transformationsprozessen noch zu wenig Bedeutung beigemessen wird – auch innerhalb von Genossenschaften und Kooperativen.
REDAKTION
Frau Dr. Zimmermann, Frau Dr. Schäfer, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Petra Lahnstein, M.A.
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