ADG Scientific

    „Jedes Handeln findet in einem Risikoraum statt“

    von Monika Schaaf

    Katharina Isack, M.Sc. und Dr. Andreas Walker von dem Forschungsinstitut ADG Scientific – Center for Research and Cooperation e.V. stellten bei der dreitägigen Konferenz "Ordinary Cities in Exceptional Times" in Athen zwei laufende Studien vor. Das große Schwerpunktthema: Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Arbeitswelt.

    Ende August sind Sie in Athen auf der Konferenz „Ordinary Cities in Exceptional Times“ gewesen – welche wesentlichen Erkenntnisse und Eindrücke haben Sie gewonnen?

    Dr. Andreas Walker: Es war überraschend und spannend zu sehen, wie an dem Thema Stadtentwicklung auf der ganzen Welt gearbeitet wird. Dabei ging es in den drei Tagen weniger um die Präsentation vollständiger Ergebnisse, sondern die meisten haben ihre laufenden oder in Planung befindlichen Forschungsprojekte vorgestellt und sich dabei Anregungen für ihre Methoden und vertiefende Literatur geholt, um Forschungsfragen zu präzisieren.

    Katharina Isack: Was auch mich wirklich beeindruckt hat, war die extrem gute Organisation der Konferenz. Die Panels waren relativ klein, man kam gut in einen bereichernden Austausch. Die Konferenz war daher überhaupt nicht anonym. Das war richtig klasse.

     

    Sie haben selbst einen Vortrag gehalten und zwei Studien vorgestellt. In einer Studie thematisieren sie, welche Anforderungen kooperierende Unternehmen an Digitalisierung haben und wie sich die Digitalisierung auf die Arbeit auswirkt. Welche Ergebnisse konnten Sie präsentieren?

    Isack: Im Gegensatz zu anderen konnten wir tatsächlich bereits erste Ergebnisse unserer Forschung präsentieren. Dazu haben wir sehr positives Feedback erhalten und wurden von den Konferenzteilnehmern auch gebeten, unsere Studienergebnisse – wenn sie feststehen – weiterzuleiten.

    Erste vorläufige Ergebnisse betreffen die Veränderung und Umstrukturierung von Arbeitsprozessen, die weniger hierarchisch organisiert als vielmehr kooperativ gedacht werden müssen. Das erfordert ohne Frage ein Mehr an Zeit, zum Beispiel für nun notwendige Abstimmungen. Wir sehen aber auch, dass digitalisierte Prozesse, wenn sie funktionieren, dieses Mehr an Zeit durch Verschlankung vormals analoger Prozesse zur Verfügung stellen könnten. Leider gibt es aber noch in vielen Unternehmen komplizierte Work-Arounds, da zum Beispiel digitale Schnittstellen nicht existieren. Somit muss die Zeit dann doch wieder in den eigentlichen Arbeitsschritt gesteckt werden. In Kombination mit dem bereits erwähnten Trend zu mehr Kooperation sowie den Auswirkungen der Pandemie, wie zum Beispiel dezentrale Arbeitsorganisation, kommt es einerseits dadurch zu einer höheren Zufriedenheit seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zu einer größeren Identifikation mit dem Unternehmen, und andererseits setzen Entfremdungsprozesse ein und auf Mitarbeiterseite ist eine geringere Verbundenheit mit dem Unternehmen zu verzeichnen. Gerade die durch die Digitalisierung angestoßenen Transformationen sind ambivalent. Sie haben stets Vor- wie Nachteile.

    Walker: Die Ausgangsfrage unseres Panels war, wie sich die Digitalisierung der Arbeitswelt nach der Pandemie auf den urbanen Raum auswirkt. Allerdings ist die Digitalisierung bei uns in Deutschland noch nicht gut genug entwickelt, um das abschließend beurteilen zu können. Dafür stehen viele Firmen noch viel zu sehr am Anfang. Digitalisierung meint ja nicht nur „Wir haben ein paar technische Geräte“. Sie bedeutet auch, Arbeitsprozesse anders zu gestalten und zu kommunizieren. Dass sich noch viele in diesem Lernprozess befinden, wurde uns auch von den Teilnehmenden geschildert, die sich an dem Forschungsworkshop zur Digitalisierung bei Genossenschaften beteiligt haben, den wir Anfang Juni auf Schloss Montabaur durchgeführt haben.

    Dr. Andreas Walker und Katharina Isack auf der Forschungskonferenz in Athen

     

    In einer zweiten Studie geht es um die Resilienz von Genossenschaften in der Pandemie. Sind Genossenschaften besonders gut durch die Pandemie gekommen?

    Walker: So pauschal können wir nicht sagen, dass Genossenschaften besonders gut durch die Pandemie gekommen sind, weil sie Genossenschaften sind. Dafür müssten wir einen Vergleich mit anderen Organisationsformen haben. Aber (fast) alle die, die sich an unserer Studie beteiligt haben, sind gut durchgekommen. Viele haben sogar die Umsätze steigern können. Allerdings haben wir bisher nur einen Blick auf die Bankenwelt werfen können. Knapp über 50 Prozent glauben, dass sie gut durch die Pandemie gekommen sind, weil sie Genossenschaften sind. Das ist wenig aussagekräftig, denn 48 Prozent sagen, es habe nichts damit zu tun. Wir möchten daher noch gerne eine Interviewstudie durchführen mit denen, die explizit an den Ergebnissen der laufenden Studie interessiert sind, um die bisherigen Ergebnisse zu kontextualisieren. Außerdem soll die Umfrage auch mit Unternehmen der Bereiche Handel und Ware fortgesetzt werden  

     

    Letztlich beschäftigen sich beide Studien mit der veränderten Arbeitswelt. „New Work“ ist das Stichwort. Welche Trends werden sich Ihrer Ansicht nach dauerhaft etablieren?

    Walker: Wir haben die Umstrukturierungsprozesse zwar nicht unter dem Begriff „New Work“ gefasst, aber letztlich trifft es das. Was sich hier herauskristallisiert: Dass wir in einem Arbeitnehmermarkt angekommen sind. Aber wir müssen erstmal sehen, ob sich das durch die Energiekrise nicht vielleicht plötzlich anders entwickelt. Was sich auch zeigt: Nachhaltigkeit ist ohne Digitalisierung nicht möglich und Digitalisierung auch nicht ohne Nachhaltigkeit. Aber Veränderung erreicht man nicht nur durch Technik. Auch die Geschäftspraktiken müssen nachhaltig umgestellt werden. Wer auf schnellen Gewinn aus ist, ist längerfristig nicht überlebensfähig.

    Isack: Wenn in den Kategorien Arbeitnehmer- und Arbeitgebermarkt gedacht wird, dann verbindet man das leider allzu häufig nur mit der Frage, ob alle Vakanzen gedeckt sind. Es mutet dann an wie eine Frage der Quantität: Habe ich genug Leute, um die vorhandene Arbeit zu machen? Was jedoch viel wichtiger ist: Wir haben einen Fachkräftemangel, also nicht genug Leute, die die Arbeit gut machen können, denen die entsprechende Qualifizierung fehlt. Deswegen steht für mich die Frage der Qualität der Mitarbeitenden noch vor der Frage, ob es genug sind. Wir haben ein Bildungs- und Qualifizierungsthema. Das haben auch andere Forscher der Konferenz in Athen herausgestellt. Bei diesem Thema geht es auch um die Frage der Einstellung. Um sich zukunftsfähig auszurichten, raten wir Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen, sich von einem linearen Arbeitsverständnis zu lösen. Arbeitgeber müssen den Gedanken verwerfen, dass es als Antwort auf einen Qualifizierungsbedarf genügt, Arbeitnehmende mal einfach zwei Tage auf ein Seminar zu schicken. Dafür ist die Welt zu komplex geworden. Und Mitarbeitende müssen sich von dem Gedanken verabschieden, in ihrer Karriere nur Jobs zu machen, die genau auf das Profil zugeschnitten sind, das sie sich zu Beginn ihrer Laufbahn einmal erarbeitet hatten – Stichwort „Lebenslanges Lernen“.

     

    Aus Ihren Erkenntnissen, die Sie in Athen und aus Ihren eigenen Studien gewonnen haben: Was braucht es, um künftig als Arbeitgeber gut durch Krisen zu kommen?

    Isack: Es wird nicht mehr so viel Orientierung im Außen geben. Deswegen müssen Unternehmen für sich einen klaren Handlungsauftrag, eine klare Mission haben. Denn das ist das Einzige, was noch Orientierung geben kann. Wenn wir von Leuten hören, dass sie in einem trägen Team sind, das 15 Jahre nicht geführt wurde, dass man sie mit nichts begeistern kann und sie nichts lernen wollen, dann hatte dieses Team 15 Jahre keine Orientierung innerhalb der Organisation. Die Leute laufen Gefahr, eine gleichgültige Haltung anzunehmen. Das ist dann wieder ein Führungsthema. Ich muss also klar etablieren, wofür stehe ich als Organisation, was will ich erreichen und was lasse ich. Wenn wir davon ausgehen, dass sich Aufgabenbereiche von Mitarbeitenden künftig nicht mehr so klar definieren lassen und sich diese immer wieder ändern können, stellt sich die Frage, was ich mir für Mitarbeitende ins Unternehmen hole. Der spezifische Kompetenzerwerb wird vielleicht immer häufiger erst im Anschluss an eine Stellenbesetzung erfolgen. Es könnte künftig also darum gehen, sich an einer unternehmerischen Vision auszurichten und daran Orientierung zu schaffen.

    Walker: Es wird außerdem wichtig sein, sich klarzumachen, dass Dinge nicht mehr vorhersehbar sein werden. Es gibt ein Unbestimmtheitskalkül. Jedes Handeln findet in einem Risikoraum statt, das kann man nicht vermeiden. Es geht aber nicht um Risikospekulation, sondern darum zu erkennen, dass es keine Regeln mehr gibt, die einem sagen, wie man erfolgreich ist. Vielleicht hat es auch noch nie feste Regeln gegeben, aber von den unterstellten Regeln wird man wegkommen müssen, hin zu einem Raum, der mit Ungewissheit arbeitet. Mit einer Fehlerkultur. Das heißt, dass Fehler toleriert werden müssen und man schaut, wie man mit ihnen umgeht. Was es dazu braucht: Vertrauen.