ADG Akademie

    Sicherheitsrisiko Hierarchie

    von Monika Schaaf

    Hierarchiegefälle bieten Nährboden für eine toxische Unternehmenskultur. Doch mehr noch: Sie können zu einer echten Gefahr werden. Frank Roebers, Vorstandsvorsitzender der SYNAXON AG und Oberstleutnant d.R. bei der Bundeswehr, weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. Im Rahmen der Lernreise „Campus.Führen“, bei der Wirtschaft auf Militär trifft, stellte er die provokante These auf: „Co-Piloten sterben lieber, als ihrem Kapitän zu widersprechen“.

    Man stelle sich vor: Ein Airbus startet von Kreta aus mit 143 Passagieren, die ihre Heimreise aus dem Urlaub antreten wollen. Ziel: Hannover. Kurz nach dem Start stellt die Crew fest, dass das Fahrwerk nicht richtig funktioniert. Aufgrund des erhöhten Treibstoffverbrauches ist schnell klar, dass das Flugziel nicht erreicht werden kann. Die ersten Berechnungen sehen eine mögliche Landung für München vor. Kurz darauf zeigt sich jedoch, dass der Treibstoff auch nicht bis München reichen wird – Wien ist das neue Ziel. Der Co-Pilot rechnet unterdessen weiter und kommt zu der Erkenntnis, dass auch Wien mit dem vorhandenen Treibstoff nicht erreicht werden kann. Er schlägt eine Landung in Graz vor, doch der Kapitän lehnt ab und bleibt dabei, dass eine Landung in Wien möglich ist. Die reale Geschichte aus dem Jahr 2000 endet in folgendem Szenario: Notlandung, einige leicht Verletzte, immerhin keine Toten. Bei der Auswertung der Kommunikation aus dem Cockpit im Nachgang überrascht, dass es zu keinem schweren Diskurs zwischen dem Co-Piloten und dem Kapitän gekommen war. Das Hierarchie-Gefüge – der Co-Pilot hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass die Berechnungen des Flight Management Systems nicht stimmten, der Kapitän ging nicht darauf ein – wurde am Ende zu einem Sicherheitsproblem, das tödlich hätte enden können.

    „In hierarchischen Strukturen entscheiden wir oft gegen unsere Natur“,

    erzählte Frank Roebers bei seinem Vortrag auf dem Campus Schloss Montabaur. Der Oberstleutnant d.R. und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr weiß, wovon er spricht. Er selbst hat dies als Pilot erfahren, als er in eine prekäre Situation bei einem Landeanflug geriet. Er vertrat eine andere Meinung als sein Co-Pilot, der in dem Fall der Kapitän mit der größeren Flugerfahrung war.

    Eine Situation, die ihn wachgerüttelt und dazu geführt hat, seinen Führungsstil in der SYNAXON AG, eine Verbundgruppenzentrale für IT-Dienstleister, komplett auf den Prüfstand zu stellen. Als Vorstandsvorsitzender war sein Wunsch, die Hierarchien und die Organisation, „die dem eines Geheimdienstes ähnelten“, abzulösen durch einen klar strukturierten Führungsprozess militärischen Ursprungs kombiniert mit einem basisdemokratischen „Unternehmens-Wikipedia“. Heißt: Transparenz auf allen Ebenen und die Möglichkeit, dass jeder Mitarbeitende jederzeit jede Unternehmensregel ohne Freigabe ändern kann. Frank Roebers erklärt: „In unserem Wiki sind alle Dokumente abgelegt, welche das organisatorische Wissen des Unternehmens beinhalten. Dazu gehören beispielsweise Prozess- und Stellenbeschreibungen, Regeln, Organigramme usw. Wir versuchen, mit so wenig Regeln wie möglich auszukommen und führen auch drei Mal im Jahr einen Wiki-Löschtag durch, bei dem überflüssige Regeln entfernt werden sollen. Alle fünf Jahre fangen wir wieder bei null mit einem leeren Wiki an. Bei uns darf jeder jedes Dokument im Wiki ändern, auch Organigramme.“

    Die Befürchtungen, dass der Einsatz des Unternehmens-Wikis zu Missbrauch führen könnte, traten nicht ein. Im Gegenteil. „Wir haben eine dramatische Verbesserung aller Regeln feststellen können“, berichtet der langjährige Vorstand.

    Parallel wurde in der SYNAXON AG eine anonyme Führungskräftebewertung eingeführt, mit der Führungskräfte und Vorstand bewertet werden. Wer eine Note schlechter als 2,5 bekommt, wird zum Gespräch gebeten. Ab Note 3 wird dieses Gespräch ernster und wer nachhaltig schlechter als Note 3 bewertet wird, muss gehen. Roebers erklärt: „Dann passt es einfach nicht. Das Niveau und die Toxizität im Unternehmen haben sich seit der Umstellung so massiv verbessert, dass wir bezüglich unserer Führungskräfte ganz klare Vorstellungen haben.“ Ein bedeutender Side-Effekt der seit 2016 eingeleiteten modernen Unternehmensführung, die große mediale Wellen schlug: Die SYNAXON AG hat seitdem kein Rekrutierungsproblem mehr. Und die Umsatzkurve geht kontinuierlich steil nach oben. Für Frank Roebers ist klar: Vertrauen zahlt sich aus. In jeglicher Hinsicht.