„Wir befinden uns nicht nur in einer politischen Zeitenwende, sondern auch in einer volkswirtschaftlichen.“, betonte Prof. Dr. Hartwig Webersinke von der Technischen Hochschule Aschaffenburg den TeilnehmerInnen des Forums Problemkreditmanagement. Deutschland erwarte für 2022 derzeit nur noch ein Wirtschaftswachstum von +1,2 Prozent, für 2023 sogar von -0,3 Prozent.
Nach der Weltwirtschaftskrise und der Corona-Pandemie erholte sich die deutsche Wirtschaft relativ schnell. Durch den Ukraine-Krieg und dessen Folgen werde Europa – und die gesamte Welt – nun einen heftigen, längeren Wachstumseinbruch erleiden, so Prof. Dr. Webersinke weiter. Frühindikatoren, wie die herrschende Energie- und Rohstoffknappheit, der Fachkräftemangel oder die hohe Inflation deuten an, dass uns eine Rezession bevorsteht.
Auswirkungen auf das Problemkreditmanagement: Was können Banken tun?
Die Unsicherheit in der Wirtschaft ist groß – so auch für Banken im Bereich des Problemkreditmanagements. Wird es zu einer Insolvenzwelle kommen? Werden wir es künftig mit einem hohen Leerstand an Gewerbeimmobilien zu tun haben? Wie können sich Banken auf diese Auswirkungen vorbereiten?
Sandro Heppenheimer, Partner der Dialog Unternehmensberatung GmbH, beleuchtete diesbezüglich ein aktuelles Thema im Problemkreditmanagement – so genannte Forbearance-Sachverhalte. Übersetzt bedeutet Forbearance „Zurückhaltung“ und bezeichnet im Zusammenhang mit Kreditverträgen eine besondere Vereinbarung zwischen dem Kreditgeber und dem Kreditnehmer, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden.
Forbearance-Maßnahmen und Szenarioanalysen
Vorrangiges Ziel der Gewährung von Forbearance-Maßnahmen sei es, Kreditnehmern mit dem Status „notleidend“ den Weg aus diesem Status zu ebnen bzw. zu vermeiden, dass andere Kreditnehmer in den Status „notleidend“ abrutschen, so Heppenheimer. Schuldner werden somit in die Lage versetzt, ihren Kredit langfristig zurückzuzahlen. Forbearance-Maßnahmen sollten stets im Rahmen der Risikofrüherkennung berücksichtigt werden, nicht erst im Anschluss. Dann sei es für den Kreditnehmer meist bereits zu spät, erklärte Heppenheimer weiter.
„Eine Steigerung von Forbearance-Maßnahmen ist im Angesicht des sinkenden Wirtschaftswachstums und der steigenden Inflation anzunehmen.“, prognostizierte Heppenheimer. Er empfiehlt Banken die Durchführung verschiedener Szenarioanalysen, um Risikopotenziale frühzeitig zu erkennen und mit geeigneten Maßnahmen proaktiv zu reagieren – bevor Forbearance-Maßnahmen relevant werden.
„Wir durchlaufen einen Zyklus“
Dass trotz der herrschenden Stagflation und Prognosen des sinkenden Weltwirtschaftswachstums nicht alles „düster und unsicher“ sei, brachte Prof. Dr. Hartwig Webersinke zum Ausdruck. „Die Krise ist erkannt. Das ist die Grundlage für rechtzeitiges und entschiedenes Handeln. Wir durchlaufen einen Zyklus, in dem auch das Wachstum wieder zurückkommen und die Inflation sinken wird.“, versicherte Webersinke. Die kommenden Monate und das Jahr 2023 werden unsicher bleiben, doch für 2024 prognostizierte Webersinke hoffnungsvollere Aussichten.