- Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Die wichtigsten Neuregelungen
Am 18.06.2021 ist das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) in Kraft getreten.
Anlass zu den Neuregelungen sah der Gesetzgeber insbesondere aufgrund einer repräsentativen jährlichen Befragung von Betrieben unter der Leitung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, wonach die Anzahl an Betriebsratsgremien in Deutschland immer geringer würde. Nur noch neun Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Westdeutschland und zehn Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Ostdeutschland verfügten über einen Betriebsrat.
Mögliche Ursache sei, dass kleine Unternehmen auf die Gründung eines Betriebsrats verzichteten, weil die Formalien des regulären Betriebsratswahlverfahrens eine Hemmschwelle darstellten und manche Arbeitgeber die Gründung von Betriebsräten verhinderten.
Ziel des Betriebsrätemodernisierungsgesetz ist deswegen, Gründungen und Wahlen von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern und zugleich die Fälle der Behinderungen von Betriebsratswahlen zu redu-zieren.
Das Gesetz erleichtert die Gründung von Betriebsräten und das Wahlverfahren für Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV). Gleichzeitig stärkt es den Schutz der hieran beteiligten Arbeitnehmer durch einen speziellen Kündigungsschutz. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim Einsatz Künstlicher Intelligenz und bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit in den Betrieben werden gestärkt. Auch die digitale Arbeit der Betriebsräte wird erleichtert.
Technisch setzt der Gesetzgeber diese Modernisierungen insbesondere durch Änderungen und Ergän-zungen des BetrVG, KSchG und SGB VII um. Im Folgenden sollen die wichtigsten Neuregelungen in einem Überblick dargestellt werden:
I. Erleichterung von Betriebsratsgründungen und -wahlen
Der Anwendungsbereich des vereinfachten Wahlverfahrens nach § 14a BetrVG wird erweitert, indem die Schwellenwerte für die Anwendung des verpflichtenden vereinfachten Wahlverfahrens und des ver-einfachten Wahlverfahrens nach Vereinbarung angehoben werden. Das vereinfachte Wahlverfahren wird in Betrieben bis zu 100 Beschäftigten obligatorisch (früher nur bis 50 Beschäftigte). In Betrieben ab 101 bis 200 Beschäftigte können Wahlvorstand und Arbeitgeber das vereinfachte Wahlverfahren ver-einbaren.
Die Zahl der notwendigen Stützunterschriften nach § 14 Abs. 4 BetrVG für einen Wahlvorschlag wird gesenkt. Stützunterschriften sollen nicht ernst gemeinte Wahlvorschläge verhindern. Um für kleine Be-triebe die Formalitäten des Wahlverfahrens zu vereinfachen, sind bei Betrieben mit bis zu 20 Beschäftig-ten Stützunterschriften nicht mehr notwendig. In Betrieben mit mehr als 20 und bis zu 100 Wahlberech-tigten erfolgt eine pauschale Absenkung auf mindestens zwei Stützunterschriften. In Betrieben mit 21 bis 100 Wahlberechtigten ist für Vorschläge, die erst auf der Wahlversammlung gemacht werden, keine Schriftform mehr erforderlich, ein Handzeichen genügt, § 14a Abs. 2 BetrVG.
Ferner wird die Anfechtbarkeit von Betriebsratswahlen nach § 19 Abs. 3 BetrVG wegen Fehlern in der Wählerliste eingeschränkt.
Das Mindestalter für die Wahlberechtigung wird gem. § 7 BetrVG von der Vollendung des 18. auf die Vollendung des 16. Lebensjahres abgesenkt.
Damit Arbeitnehmer bei der Gründung eines Betriebsrats besseren Schutz erhalten, wird der Kündi-gungsschutz zur Sicherung der Wahlen zum Betriebsrat und zur Bordvertretung verbessert. Beschäftigte, die zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung einladen oder die Bestellung eines Wahlvorstands bean-tragen, sind vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nach § 15 Abs. 3a KSchG unkündbar. Umfasst sind nunmehr die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung genannten Arbeitnehmer (§ 15 Abs. 3a KSchG). Auch die „Vorfeld-Initiatoren“ erhalten erstmals einen speziellen befristeten Kündigungsschutz vor personen- und verhal-tensbedingten ordentlichen (nicht fristlosen!) Kündigungen, § 15 Abs. 3b KSchG.
II. Erleichterungen bei der Wahl von Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV)
Der Anwendungsbereich des vereinfachten Wahlverfahrens (siehe I.) wird auf die Wahlen der JAV erwei-tert, § 63 BetrVG. Die Altersgrenze bei der Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung gestrichen, § 60 Abs. 1 BetrVG. Auszubildende sind nunmehr auch zu berücksichtigen, wenn sie bereits das 25. Le-bensjahr vollendet haben.
III. Vereinfachung der digitalen Betriebsratsarbeit
Betriebsräte erhalten dauerhaft die Möglichkeit, unter Wahrung des Vorrangs von Präsenzsitzungen, Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen. Wesentliche Voraussetzungen werden in § 30 Abs. 2 BetrVG normiert und erfordern, dass der Betriebsrat die Rahmenbedingungen für Video- und Telefonkonferenzen unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung in einer Geschäftsordnung fest-legt, nicht zuvor ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats diesem Verfahren widerspricht und sicherge-stellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis erlangen.
In datenschutzrechtlicher Hinsicht stellt § 79a BetrVG nun klar, dass der Arbeitgeber datenschutzrecht-lich Verantwortlicher ist.
IV. Mitbestimmung bei mobiler Arbeit
Zur Förderung mobiler Arbeit und der Gewährleistung einheitlicher und verbindlicher Rahmenbedingun-gen für Arbeitnehmer wird in § 87 Absatz 1 Nr. 14 BetrVG ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Aus-gestaltung mobiler Arbeit eingeführt. Über das „Ob“ der mobilen Arbeit entscheidet weiterhin der Ar-beitgeber. Betriebsräte sollen allein bei deren inhaltlichen Ausgestaltung mitbestimmen dürfen.
Daneben erweitert der Gesetzgeber den Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeiten im Homeoffice. Auch Wege im eigenen Haushalt zur Nahrungsaufnahme oder zum Toilettengang und Wege, die die Beschäf-tigten zur Betreuung ihrer Kinder zurücklegen, sind durch Erweiterung von § 8 Abs. 1 SGB VII und § 8 Abs. 2 Nr. 2a SGB VII nun umfasst.
V. Rechte des Betriebsrats bei Weiterbildung
Bezüglich Qualifizierung wird das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte bei der Berufsbildung durch die Möglichkeit der Einschaltung der Einigungsstellen gestärkt, § 96 Abs. 1 BetrVG.
VI. Einbindung des Betriebsrats beim Einsatz von „Künstlicher Intelligenz“
Muss der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen, kann der Betriebsrat künftig einen Sachverständigen hinzuziehen, § 80 Abs. 3 BetrVG. Insoweit gilt (Fiktion) dessen Hinzuziehung eines Sachverständigen als erforderlich.
Die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen gelten auch dann, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden.
Auch bei der Feststellung von Richtlinien über die personelle Auswahl hat der Betriebsrat mitzuentschei-den, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden, § 95 Abs. 2a BetrVG.
VII. Was wurde nicht modernisiert?
Bis zum 30.06.2021 bestand nach § 129 Abs. 2 BetrVG eine Möglichkeit, Sitzungen vor einer Einigungs-stellen virtuell durchzuführen. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht keine parallele Vorschrift hierzu vor.
Weiterhin sieht das Betriebsrätemodernisierungsgesetz keine Möglichkeit vor, Betriebsratswahlen vir-tuell durchzuführen. - SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung: konkrete Auswirkungen auf die betriebliche Praxis
Am 01.07.2021 traten Anpassungen der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchVO) in Kraft. Die grundlegenden Arbeitsschutzregeln für die Dauer der epidemischen Lage nationaler Tragweite gelten bis spätestens 10.09.2021 fort. Die Anpassungen des Verordnungsgebers enthalten aber auch einige Erleichterungen.
Welche konkreten Auswirkungen die erneute Änderung der Corona-ArbSchVO auf die betriebliche Praxis hat, wird im folgenden Überblick dargestellt:
I. Ziel der Corona-ArbSchVO
Ziel der Corona-ArbSchVO ist weiterhin, das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bei der Arbeit zu minimieren und die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Die Arbeits-schutzverordnungen gemäß § 18 Absatz 1 und 2 des Arbeitsschutzgesetzes und abweichende Vorschriften der Länder zum Infektionsschutz, insbesondere im Zusammenhang mit der Betreuung von Kindern, sowie weitergehende Vorschriften der Länder und die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel bleiben unberührt.
II. Gefährdungsbeurteilung und Hygienekonzept
Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Gefährdungsbeurteilung nach Maßgabe der §§ 5, 6 Arbeitsschutzgesetz und anhand der aktuellen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel zu überprüfen.
Betriebliche Hygienekonzepte sind weiterhin zu erstellen, umzusetzen sowie in geeigneter Weise bekannt zu machen. Die AHA+L-Regel bleibt weiterhin gültig. Arbeitgeber müssen weiterhin auf Ab-stands- und Hygieneregeln und Lüften achten.
III. Abstände und Atemmasken
Mindestflächen und -Abstände müssen weiterhin eingehalten werden. Die verbindliche Vorgabe einer Mindestfläche von 10 Quadratmeter pro Person in mehrfach belegten Räumen fällt jedoch weg.
Können die erforderlichen Mindestflächen und -Abstände im Betrieb nicht eingehalten werden, so gilt neben den allgemeinen Schutzmaßnahmen auch die Tragepflicht eines Mund-Nasen-Schutzes für alle anwesenden Personen. Arbeitgeber müssen mindestens medizinische Gesichtsmasken zur Verfügung stellen, wo andere Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz gewähren.
Auch während der Pausenzeiten und in Pausenbereichen muss der Infektionsschutz gewährleistet blei-ben.
IV. Kontaktreduktion und Home-Office
Mit dem Auslaufen der Bundesnotbremse wird auch die strikte Vorgabe von Homeoffice gestrichen. Betriebsbedingte Kontakte und die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen müssen jedoch weiterhin auf das notwendige Minimum reduziert bleiben. Dazu kann das Home-Office weiterhin einen Beitrag leisten.
V. Testangebotspflicht
Arbeitgeber bleiben verpflichtet, in ihren Betrieben mindestens zweimal pro Woche für alle in Präsenz Arbeitenden die Möglichkeit für Schnell- oder Selbsttests anzubieten. Zunächst bis September müssen Arbeitgeber ausreichende Testkapazitäten nachweisen können.
Diese Testangebote sind jedoch nicht erforderlich, soweit der Arbeitgeber durch andere geeignete Schutzmaßnahmen einen gleichwertigen Schutz der Beschäftigten sicherstellt oder einen bestehenden gleichwertigen Schutz nachweisen kann, § 4 Abs. 2. Ausnahmen gibt es zudem für vollständig geimpfte bzw. von einer CoViD-19 Erkrankung genesene Beschäftigte.
Die Beschäftigten sind nicht verpflichtet, die Testangebote wahrzunehmen. Sie müssen dem Arbeitge-ber auch keine Auskunft über ihren Impf- beziehungsweise Genesungsstatus geben.
VI. Ausblick
Die Regelungskraft der Sars-CoV-2-Verordnung endet, sobald die epidemische Lage durch die Bundes-regierung aufgehoben wird, spätestens aber am 10.9.2021.
Etwas anderes gilt, wenn die Verordnung vorher verlängert wird. In Anbetracht der Tatsache, dass be-reits jetzt eindringlich vor einer „4. Welle“ und der Delta-Virus-Variante gewarnt wird, ist eine Verlän-gerung nicht unwahrscheinlich. - Exkurs: „EU-Whistleblower-Richtlinie“
Am 16.12.2019 ist die „EU-Whistleblower-Richtlinie“ in Kraft getreten. Ziel der Richtlinie ist ein verbesserter Schutz von Hinweisgebern („Whistleblowern“), die Verstöße gegen das EU-Recht melden. Die Umsetzung der Richtlinie durch den nationalen Gesetzgeber hat bis zum 17.12.2021 zu erfolgen.
I. Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern und jegliche Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche haben danach ein internes Whistleblowing-System einzurichten. Die Richtlinie sieht vor, dass Personen geschützt werden, die Verstöße gegen das Unionsrecht in bestimmten Bereichen melden – zum Bei-spiel, wenn es um öffentliche Aufträge, Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Lebensmittel, öffentliche Gesundheit, Verbraucher- und Datenschutz geht.
Der Gesetzesentwurf aus dem BMJV zum nationalen Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) weitet den Schutz auf korrespondierendes nationales Recht aus. Insbesondere sollen auch Hinweise zu Strafrechtsverstößen und Ordnungswidrigkeiten vom HinSchG erfasst werden (überschießende Umsetzung).
II. Der Referentenentwurf des HinSchG sieht für oben genannte Unternehmen umfangreiche Pflichten bei der Etablierung des Hinweisgebersystems vor. Im Überblick: Es soll eine Pflicht bestehen, eine interne „Whistleblowing-Hotline“ für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und sonstige Dritte zu errichten. Mündliche Meldungen, Hinweise in Textform und persönliche Zusammenkunft mit dem Hinweisgeber sollen ermöglicht werden. Es ist ein uneingeschränkter Zugang zum Hinweisgebersystem bekannt zu machen und zu gewährleisten. Das System ist von einer unabhängigen und qualifizierten Person zu betreuen (z.B. Compliance-Abteilung, Ombudsperson). Die Vertraulichkeit, Anonymität und der Datenschutz sollen gewährleistet werden. Bei einer internen Meldung ist dem Hinweisgeber eine Eingangsbestätigung innerhalb von sieben Tagen und eine Rückmeldung zum Umgang mit der Meldung innerhalb von drei Monaten nach Eingang zu erteilen. Alle eingehenden Meldungen sind in dauerhaft abrufbarer Weise zu dokumentieren.
III. Vorgesehen ist ein Schutz der Hinweisgeber vor arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Kündigungen und Gehaltskürzungen oder auch Diskriminierungen oder Mobbing. Außerdem sind „angemessene und abschreckende Sanktionen“ für Personen oder Unternehmen normiert, die Hinweise be- oder verhindern, Vergeltungsmaßnahmen gegen Whistleblower vornehmen, mutwillige Gerichtsverfahren anstrengen oder die Identität des Whistleblowers offenlegen. Darüber hinaus sieht die Richtlinie Schadensersatzansprüche des Whistleblowers vor, der künftige finanzielle Einbußen und immaterielle Schäden wie Schmerzensgeld umfasst.
IV. Das Bundesministerium für Justiz hat den Referentenentwurf zum HinSchG bereits vorgelegt, auf den sich die Koalitionspartner bislang jedoch noch nicht einigen konnten. Uneinigkeit herrscht insbesondere, weil die Vorgaben der EU-Richtlinie im Entwurf überschießend umgesetzt werden. Es ist aber zu erwarten, dass das HinSchG innerhalb der Umsetzungsfrist und wahrscheinlich noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Betroffene Unternehmen sollten sich schon frühzeitig auf die geplanten Neuerungen vorbereiten und entsprechende Compliance-Systeme einrichten, um Haftungsrisiken zu minimieren.