Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP
(Stand: 25.11.2021)
Auf sechs des insgesamt 174 Seiten umfassenden Werks geht es um das Thema „Arbeit“ und damit auch um Arbeitsrecht. Die Aussagen sind jedoch - wie in Koalitionsverträgen üblich - noch sehr vage und werden erst später in den Umsetzungsprojekten konkretisiert. Die wichtigsten Punkte in der Übersicht:
- Arbeitszeit und mobile Arbeit/ Arbeitsort
Auf die Veränderungen in der Arbeitswelt soll insbesondere durch flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitszeit und des Arbeitsorts reagiert werden.
Gewerkschaften und Arbeitgeber sollen unterstützt werden, flexiblere Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen.
In Abweichung zum Grundsatz des 8-Stunden-Tages, an dem im Arbeitszeitgesetz weiterhin festgehalten wird, sollen durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen „Experimentierräume“ für flexiblere Tageshöchstarbeitszeiten geschaffen werden. Darüber hinaus werden befristete Regelungen mit Evaluationsklauseln für das Jahr 2022 ermöglichen, dass mit Hilfe von Tarifverträgen Arbeitszeiten insgesamt flexibler gestaltet werden können.
Die zuletzt infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dokumentationspflicht aller Arbeitszeiten angezweifelte Vertrauensarbeitszeit soll – etwas überraschend - grundsätzlich weiter möglich bleiben. Hier werden Anpassungen in den Raum gestellt, jedoch nicht konkretisiert. Der Wortlaut im Original: „Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“
Homeoffice wird als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung abgegrenzt. Die wichtige Stellung von Arbeitsschutz, guten Arbeitsbedingungen und das Vorhandensein eines betrieblichen Arbeitsplatzes bei mobiler Arbeit wird an dieser Stelle besonders hervorgehoben. Dem arbeitnehmerseitigen Wunsch nach mobilem Arbeiten und Homeoffice, bei Ausübung hierzu geeigneter Tätigkeiten, sollen Arbeitgeber nur noch bei entgegenstehenden betrieblichen Belangen – also nicht sachfremd oder willkürlich - widersprechen können. Hiervon abweichende Regelungen sollen jedoch tarifvertraglich und betrieblich zulässig bleiben.
- Ausbildung / Weiterbildung
Der Zugang zu und die Ausbildung an Berufsschulen soll verbessert werden. Es soll eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen geben, sowie Unterstützung von Menschen in Arbeitslosigkeit und Grundsicherung bei ihrer Weiterbildung.
Durch verschiedene Modelle und Anreizsysteme soll sich Weiterbildung „lohnen“. Zu diesem Zweck soll vor allem das Lebenschancen-BAföG kommen. Durch ein Freiraumkonto kann so ein (teilweise bezuschusstes) Bildungssparen möglich werden, mit dessen Hilfe sich Menschen berufsbegleitend weiterbilden können. Erleichtert werden soll das durch die Möglichkeit einer „Bildungs-(teil-)zeit“, die in Absprache mit dem Arbeitgeber eingerichtet und ebenfalls staatlich bezuschusst werden kann.
- Befristungsrecht
Zur sachgrundlosen Befristung enthält der Koalitionsvertrag keinerlei Aussage. Offenbar ist hier keine Einschränkung geplant. Damit bleibt der Koalitionsvertrag weit hinter den Vereinbarungen der vergangenen Koalition aus CDU/CSU und SPD zurück. Hier war eine Begrenzung der sachgrundlosen Befristung auf höchstens 18 Monate und nur noch einer Verlängerungsoption innerhalb dieser Gesamtlaufzeit fest vereinbart, aber nie umgesetzt worden. Seinerzeit hatte die SPD noch gefordert, die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung gänzlich abzuschaffen.
Hingegen sollen Befristungen mit Sachgrund eingeschränkt werden, indem hier eine grundsätzliche zeitliche Obergrenze von 6 Jahren mit wenigen Ausnahmen geregelt wird.
Die Haushaltsbefristung im öffentlichen Dienst wird abgeschafft. Der Bund als Arbeitgeber will zudem die sachgrundlose Befristung nach und nach reduzieren.
- Mitbestimmung
Die Mitbestimmung soll gestärkt werden. Betriebsräte sollen selbstbestimmt über eine digitale oder analoge Arbeitsweise entscheiden können, während Gewerkschaften ein digitaler Zugang in die Betriebe gewährleistet werden soll, der ihren analogen Rechten entspricht. Zudem sollen Online-Betriebsratswahlen erprobt werden.
Eine Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften soll vermieden werden. Bei faktisch echter Beherrschung soll die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen werden.
- Leiharbeit und Abrufarbeit
Die Option von Leiharbeit und Arbeit auf Abruf soll grundsätzlich erhalten bleiben. Hier ist dem Vertrag keine konkrete Veränderung zu entnehmen.
- Selbständige
Mit Hilfe eines erleichterten Zugangs zu freiwilliger Arbeitslosenversicherung sollen Selbständige sowie Gründerinnen und Gründer unterstützt werden, während Soloselbständige weiterhin Neustarthilfe erhalten sollen. Ehemals beitragsabführende Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer sämtlicher Rechtsformen sollen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.
Zur Unterstützung Soloselbständiger während der andauernden Corona-Pandemie werden die Neustarthilfen der Überbrückungshilfe III Plus so lange wie benötigt fortgeführt. Künftigen, nicht selbst verantworteten, Krisen soll durch steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen begegnet werden.
- Mindestlohn
Der Mindestlohn soll zunächst einmalig auf zwölf Euro pro Stunde angehoben werden. Danach sind Anpassungen durch Vereinbarungen auf europäischer Ebene zusätzlich möglich, soweit sich dort verhandelte Vorschläge durchsetzen können.
- Mini- und Midijobs
Entsprechend werden auch die Grenzen für Midi-Jobs (1.600 Euro) und Minijobs (520 Euro) angepasst. Die Einhaltung des Arbeitsrechts bei Mini-Jobs soll stärker kontrolliert werden.
- Haushaltsnahe Dienstleistungen
Haushaltsnahe Dienstleistungen sollen stärker gefördert werden. Dadurch sollen einerseits mehr sozialversicherte Arbeitsplätze geschaffen und die Vereinbarung von Familie und Beruf gesteigert werden. Als positiven Nebeneffekt für den Arbeitsmarkt erwartet man eine höhere Erwerbsbeteiligung von Ehe- und Lebenspartnern.
- Tarifautonomie
Das Wirken der Tarifparteien sollen gestärkt werden, damit in Deutschland „faire Löhne“ bezahlt werden. Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden. Tarifflucht soll mit Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt werden. § 613a BGB bleibt unangetastet.
- Arbeits- und Gesundheitsschutz
Es soll sich insbesondere der psychischen Gesundheit gewidmet werden, beispielsweise durch einen Mobbing-Report. Darüber hinaus sollen vor allem kleine und mittlere Unternehmen bei Prävention und Arbeitsschutz unterstützt werden, während die Rolle des BEM insgesamt gestärkt werden soll.
- Kirchliches Arbeitsrecht
Es wird geprüft, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann.
Der gesamte Koalitionsvertrag als PDF